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Unstrukturiertes Alpha

München, die „heimliche Hauptstadt“ der alten Bundesrepublik, scheint sich derzeit in die heimliche Hauptstadt für außergewöhnliche Finanzskandale der neuen Bundesrepublik zu entwickeln. Nach dem Wirecard-Skandal, der ja bekanntlich alle nur denkbaren Verantwortlichen betroffen hat (neben der Firma selbst die Aufsichtsbehörden, Ermittlungsorgane, politisch Verantwortliche, ja, sogar Geheimdienste) und der so (im wahrsten Sinne des Wortes) fantastisch ist, dass man als neutraler Beobachter das Ausmaß mit allen Arabesken eigentlich immer noch nicht recht begreifen kann und will, nun der Skandal mit den sogenannten Structured Alpha-Fonds des zum Versicherungskonzern Allianz gehörenden Vermögensverwalters Allianz Global Investors. Während man sich eine Verfilmung des Wirecard-Skandals nur in der Form eines Psychothrillers in sehr dunklen Farben vorstellen kann (die Hauptfiguren, Markus Braun und Jan Marsalek, geben nichts anderes her), gesellen sich zu einem imaginären Drehbuch für die Allianzgeschichte nun immer mehr humoristische Aspekte. In der Presse war die Rede von konspirativen Treffen auf einer Baustelle, einer Flucht bei einem vermeintlichen Besuch einer Toilette, von verschobenen Kommazeichen, halbierten Zahlen und sonst wie gefälschten Geschäftsunterlagen. Und Sapperlot, am Ende läpperte sich der Betrag, den die Allianz insgesamt für Straf- und Entschädigungszahlungen zurückstellen musste, zu sagenhaften 5,6 Mrd. € (ausgeschrieben: 5.600.000.000€!) zusammen. Allerdings sollte man lieber von einem vorläufigen Ende sprechen, denn es ist durchaus möglich, dass weitere Rückstellungen erforderlich werden. Aber in der öffentlichen Darstellung erweckt die Allianz den Eindruck, als würde sie diesen Vorgang als eine Art Betriebsunfall werten. Verantwortlich seien lediglich drei isolierte Fondsmanager in den USA, von denen man sich getrennt habe. Ansonsten liefe ja alles mehr oder weniger rund, bei der Dividende gäbe es ja schließlich auch keine Probleme! Man fühlt sich ein wenig an die Szene in dem Film Nackte Kanone erinnert, als Leslie Nielson alias Lieutenant Frank Drebin vor dem explodierenden Feuerwerksladen steht und alle Umstehenden anweist: „Es gibt nicht das Geringste zu sehen! Bitte gehen Sie weiter!“ (Gab es ja auch nicht, einmal abgesehen von einem Arzt, der in voller Montur auf einer Lenkrakete angefahren kam und mit dieser in einen Feuerwerksladen steuerte, der daraufhin explodierte). Allianz Global Investors hat sich gegenüber den Anschuldigungen der amerikanischen Wertpapieraufsicht SEC, für schuldig erklärt („Allianz Global Investors admitted to defrauding investors over multiple years“) und darf als Konsequenz (zusätzlich zu den Strafzahlungen) für 10 Jahre keine „Advisory services“ für in den USA gelistete Investmentfonds anbieten (Quelle). Ein wahrlich einzigartiger Vorgang! Eine globale Firma, die in den USA, dem wichtigsten Finanzmarkt der Welt, nur sehr eingeschränkt operieren kann und ohne die starken Arme der Muttergesellschaft vermutlich pleite gegangen wäre!


Es ging um Hedgefonds, die den Namen „Structured Alpha“ trugen und, laut der Süddeutschen Zeitung „von 2016 bis 2020 an 114 institutionelle Anleger verkauft (wurden), darunter Pensionsfonds für Lehrer, Krankenkassenmitarbeiter und U-Bahnfahrer“. Alleine diese Aussage würde schon ausreichen, um den Puls eines erfahrenen Risikomanagers nach oben zu treiben, denn es ist grundsätzlich mehr als fraglich, ob diese Anlageform für diese Klientel überhaupt geeignet ist. Allerdings ist der Begriff Hedge-Fonds alles andere als klar definiert. Bei einer klassischen Variante wird eine gewisse „Marktneutralität“ angestrebt. Dabei wird ein Teil der den Markt bildenden Wertpapiere erworben, ein anderer (kleinerer) Teil verkauft. Die grundlegende Idee dabei ist, dass das resultierende Portfolio annähernd neutral ist gegenüber ausgeprägten Marktverwerfungen (z. B. gegenüber einem Crash auf den Finanzmärkten), aber durch die geschickte Auswahl von Einzeltiteln auf beiden Seiten des Portfolios, eine positive Rendite gegenüber einem Geldmarktindex erzielt (das sogenannte Alpha). Soweit man der Berichterstattung in den Medien vertrauen kann, wurde bei den Structured Alpha Fonds vorgegeben, zumindest im Prinzip, einen ähnlichen Ansatz zu verfolgen, wenngleich die Strategie dort durch die Implementierung von Volatilitätsstrategien über Derivate ungleich komplexer zu sein schien. Auf Youtube gibt es ein interessantes Video von Allianz Global Investors, in dem der „Product Specialist“ für die „Structured Alpha Franchise“, Peter Pilavachi, die Anlagestrategie der Structured Alpha Fonds in groben Zügen erläutert. Dem zufolge resultierte die Hauptertragsquelle des Fonds aus den eingestrichenen Prämien, die aus dem Verkauf von Optionen resultieren. Dabei ließ man sich von der Prämisse leiten, dass die Finanzmärkte sich in „normalen“ Bahnen bewegen. Allerdings ist es verflixt schwer (will sagen unmöglich), diese Bereiche der „Normalität“ präzise zu bestimmen — jeder Investor, der schon einmal etwas mit Optionen zu tun hatte, wird dies nachvollziehen können. Wenn der Markt überdurchschnittlich fällt, dann wird es sehr ungemütlich für einen Investor, der auf einem Berg von Short-Put-Positionen sitzt. In dem Video wird daher sehr nachdrücklich betont, dass der Investmentprozess zwei Sicherungsebenen enthalte, um sich gegen diese scharfen Markbewegungen zu wappnen. Das Problem dabei ist, dass solche Absicherungen in der Regel mit erheblichen Kosten verbunden sind. Dass man unter solchen restriktiven Bedingungen dann aber eine Treasury-Bill-Benchmark um 5% und eine Aktienbenchmark um 2,5% nachhaltig übertreffen kann, wie es im Video behauptet wird, klingt wie pure Zauberei. War es dann wohl auch. Angesichts der angelaufenen Verluste in den Portfolios zwischen 30% und über 90% ist es offensichtlich, dass die Realität eine ganz andere war.


Von außen ist es sehr schwer, sich ein Urteil über die tatsächliche Struktur der Fonds zu bilden. Vertraut man jedoch der renommierten Firma Markov Process International, dann könnte alles denkbar einfach gewesen sein. Im September 2021 haben Sie einen dieser Fonds (Allianz GI Structured Return Institutional AZIIX) einer Faktoranalyse unterzogen. Bei einer derartigen Analyse wird gewissermaßen ein Röntgenbild des Fonds erstellt, bei dem die zeitliche Entwicklung des Fondsrendite auf wesentliche, die Entwicklung der Finanzmärkte beschreibende Faktoren zurückgeführt wird. Solche Verfahren zählen bereits seit vielen Jahrzehnten zu den Standardmethoden der Portfolio- und Risikosteuerung. Und siehe da, Markov Process kam zu einer verblüffend einfachen Aufschlüsselung, der zufolge sich der besagte Fonds in etwa wie ein Portfolio verhielt, dass zu ca. 10% in den amerikanischen Aktienmarkt (S&P 500) und zu 40% in Versicherungen gegen die oben erwähnten „sharp market dowturns“ investiert war (Quelle). Als Versicherungsgeber, wohlgemerkt! Damit wäre die außergewöhnliche Rendite in guten Markphasen auf die eingestrichenen Versicherungsprämien zurückzuführen. Dass dieser Fonds dann in einer ungünstigen Marktphase „abgeschmiert“ ist (wie man in Investorenkreisen lapidar sagt), war dann alles andere als eine Überraschung. Das wirklich Verblüffende an der Studie von Markov Process ist jedoch, dass diese Struktur konstant seit dem Jahre 2012 bestand! Dies wiederum passt nicht zu der kolportierten Aussage, dass es den Managern im Jahre 2015 dämmerte, wie kostspielig die Absicherung der Portfolios geworden war, sodass man begann, die Struktur der Portfolios zu ändern (Quelle). Wenn es aber doch diese besagte Verlagerung der Risikostruktur gegeben hat, warum wurde dies —angesichts des spezifischen Investorenkreises —nicht rechtzeitig vor dem Crash durch das Controlling und das Management problematisiert? Kaum vorstellbar, dass Allianz Global Investors nicht ähnlich geeignete Instrumente zur Verfügung hatte wie Markov Prozess!

Nach dem Crash hat man seitens Allianz Global Investors lange Zeit die von den Anlegern erhobenen Vorwürfe kategorisch geleugnet. Im Juli 2020 reagierte man angesichts einer Klage des Arkansas Teacher Retirement Systems gänzlich uneinsichtig mit den Worten: „Die Prämisse der Klage ist einfach falsch und unbegründet, da die Fonds des Structured-Alpha-Portfolios nicht von ihrer Anlagestrategie abgewichen sind. Unsere eigene Analyse hat ergeben, dass das Portfolio zu jeder Zeit gemäß seinen Alpha-Zielen und in Übereinstimmung mit seinem Ansatz verwaltet wurde. Während die Verluste im Portfolio zutiefst enttäuschend sind, gibt es keine Grundlage für eine rechtliche Haftung. AllianzGI beabsichtigt, sich energisch gegen diese Anschuldigungen zu verteidigen.“ Man fragt sich heute, welcher Gestalt diese „Analyse“ gewesen sein mag! Ähnlich kategorisch hatte sich übrigens Wirecard bis zum bitteren Ende gegen die vielfältigen Anschuldigungen gewehrt…


Soweit der Eindruck zu den Geschehnissen, den man sich aus öffentlich verfügbaren Informationen bilden kann. Er wirft eine Reihe an Fragen auf. Gab es überhaupt ein Risiko-Controlling zu diesen Fonds, das diesen Namen verdiente? Wie verhielt sich die Leitung von AGI zu etwaigen Reports und Warnsignalen (zumal in den sozialen Netzwerken kritische Stimmen von ehemaligen Mitarbeitern vernehmbar werden)? Kürzlich hat der CEO von Allianz Global Investors dazu Stellung genommen, und wieder die drei beschuldigten Fondsmanager in den Mittelpunkt der Erzählung gestellt: „Employees across the firm have rightly been shocked and appalled to learn that three former colleagues misled and lied to clients and the rest of the company, and that we were unable to detect this isolated case of wrongdoing in what was a complex strategy.

Natürlich kann sich die Allianz öffentlich auf den Standpunkt stellen, dass mit den oben erwähnten Zahlungen der Schaden abgegolten ist und die Hintergründe die Öffentlichkeit nicht weiter zu interessieren haben, höchstens noch die Aktionäre dieser Firma. (Aber die entscheidenden Großaktionäre scheint es nicht sonderlich zu interessieren. Erstaunlicherweise auch nicht die wenigen investigativen Journalisten in der BRD.) Verbleiben wird jedoch ein erheblicher Reputationsschaden. Die Zeiten, in denen Allianz Global Investors vom konservativen Image des Mutterkonzerns profitierte, sind jetzt vorbei, und man wird mit Spannung das Anlegerverhalten beobachten. Diejenigen Mitarbeiter, die für die Beantwortung der in Anleger- bzw. Berater-Fragebögen zuständig sind, sind wahrlich nicht zu beneiden, denn dort gehören detaillierte Fragen zu Schadensfällen und erlassenen Strafmaßnahmen zum Standardrepertoire und haben erhebliches Gewicht bei der Vergabe von Mandaten.


Wenn der Allianz daran gelegen ist, diesen Geschäftszweig weiter zu betreiben, dann muss sie die Schwachstellen des Risikomanagements eingehend und objektiv analysieren und entsprechende Konsequenzen ziehen. Bei einer derartigen Analyse spielt der Aspekt der Unternehmens- bzw. Führungskultur eine zentrale Rolle. Risikowarnsignale nutzen wenig, wenn die Manager an den Stellhebeln sie nicht wahrnehmen wollen (oder können). Die meisten Finanzskandale wurzeln bekannter Weise in einer problematischen Unternehmenskultur. Dann werden häufig trivialere Risiken besonders intensiv und die bedeutenden überhaupt nicht kontrolliert. Die Schlussfolgerungen dieser Analyse sollten den Investoren umfassend zur Kenntnis gebracht werden, um so das verloren gegangene Vertrauen (langsam) wieder zurück zu gewinnen. Es sei denn, die Allianz hat bereits ganz andere Pläne mit diesem Geschäftsfeld, denn auch in der Münchener Zentrale dürften erhebliche Zweifel aufgekommen sein, ob der „Brand“ Allianz Global Investors noch zu retten sein wird. Zumindest in den USA wird er sicher auf sehr lange Zeit irreparabel beschädigt sein.

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