Siegfried an der Staatsoper Berlin
Gestern erfuhr das Berliner Publikum, was sich Dmitri Tscherniakov für den Siegfried, den dritten Teil des Ring des Nibelungen (den zweiten „Tag“) im Rahmen seiner Inszenierung an der Berliner Staatsoper ausgedacht (bzw. aus den Fingern gesaugt) hat. Wir können es diesmal kurz halten, da ja in den Besprechungen der ersten beiden Teile bereits so manches gesagt wurde.
Das ganze ist weiterhin in dem labyrinthhaften Institut für Aggressionsexperimente ESCHE angesiedelt. Im ersten Aufzug erkennt man jedoch wieder die aus der Walküre bekannte Hunding-Hütte. Diesmal erweckt sie den Eindruck einer ziemlich gut eingerichteten Kita. Siegfried verfügt über eine sehr gut ausgestattete Spielecke, während Hunding über die Einbauküche wacht. Wie Sie bestimmt schon vermutet haben, wenn Sie die Renzensionen der ersten Teile verfolgt haben: hier gibt es keine Schmiede, in der man die Teile von Siegmunds Schwert (die tatsächlich vorkommen) zusammenschweißen könnte. Wenn Siegfried zu Beginn aus dem Wald zurückkehrt und eines der von Mime geschweißten Schwerter zerbrechen muss, dann bedient er sich eines seiner Plastikschwerter. Bei der eigentlichen Schmiedeszene schichtet er seine Spielzeuge zu einem Stapel und entflammt sie. Wie dabei ein Schwert geschmiedet werden soll, ist natürlich schleierhaft. Ist auch egal! Anstatt zu schmieden, zertrümmert Siegfried der Wüterich im Wahn nahezu das gesamte Mobiliar. Ende erster Akt.
2. Akt: Als Experiment angekündigt: Siegfried trifft auf Fafner, der heruntergekommen und zerzottelt in einer Zelle des Instituts mit Siegfried zusammengeführt wird. Das Waldvögelein ist eine Mitarbeiterin, die das Experiment baufsichtigt. Wotan (in Sandalen) und Alberich (mit Gehhilfe) sind mittlerweile zu Greisen verkommen. Natürlich schnitzt sich der Bühnen-Siegfried kein Schilfrohr und bläst auch nicht in ein Horn.
3. Akt.: Verhandlungen in Sitzungräumen; erst Wotan und Erda, dann Wotan mit Siegfried, der dann schließlich die Tür einschlägt, um in den Laborraum mit Brünnhilde zu kommen, wodurch dann Wotans Speer zerknickt (ja er kommt tatsächlich vor! Rätsel Tscherniakov). Dann wieder ganz viel Ironie und Verfremdung. Brünnhilde wird von Wotan kichernd auf eine Bahre platziert und mit einer Aluminiumfolie bedeckt. Achtung: Experiment!
Alle Szenen sind in ein grelles Laborlicht getaucht. Atmosphäre kommt bei allem nicht auf. Was man Frank Castorp immer nachgesagt hat, er sei ein Stückezertrümmerer (für die Bayreuther Ring-Inszenierung war es überhaupt nicht der Fall), hier wird es zur Vollendung zelebriert. Tscherniakov entkernt das Stück nahezu von allen prägenden Handlungselementen, und das, was übrig bleibt, ironisiert bzw. entfremdet er so, dass man als Zuschauer das Stück wie aus einem Seminarraum wahrnimmt. Manchmal ist die Musik stärker, so dass man die Tscherniakovsche Kopfgeburt für Augenblicke vergessen kann. Aber das dauert nie allzu lange, bis der Meister wieder die Daumenschrauben der Entfremdung anzieht. Das Resultat ist furchtbar banal und langweilig.
Zur musikalischen Darbietung muss man nicht viel sagen. Diesmal bewegte sich alles (ohne Ausnahme) in den Höhenregionen, die heute im Bereich der Aufführung der Werke Wagners überhaupt möglich sind. Anja Kampe ist eine ideale Brünnhilde und Andreas Schager ein nahezu idealer Siegfried (auch wenn er wohl nie wirklich im Piano singen kann, so stark ist seine Stimme!). Michael Volle als Wotan kann man nicht genug bewundern, ebenso Stephan Rügamer als Mime. Fabelhaft auch wieder Peter Rose als Fafner und Johannes-Martin Kränzle als Alberich. Alle Dialogszenen (Wotan-Mime, Wotan-Alberich etc.) waren ebenbürtig besetzt.

Hochverdienter Riesenjubel für die Staatskapelle und für Christian Thielemann. Eine phantastische Leistung. Interessant zu beobachten, wie Thielemann die Tempi anders aufbaut als im Bayreuther Ring. So wurde etwa die Schmiedeszene in einem moderateren Tempo dargeboten als damals (was allerdings nicht so recht zu Siegfrieds Furor in der Tscherniakovschen Lesart passte). Aber manchmal trügt auch das Erinnerungsvermögen.
Musikalisch ein ganz großer Abend.
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