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Ich bin doch nur ein Schauspieler!

Über die Reaktionen zum Überfall auf die Ukraine


Europa befindet sich seit einigen Tagen im kalten Krieg. Russland hat gänzlich unprovoziert und völkerrechtswidrig die Ukraine überfallen. Dort herrscht wahrhaftig Krieg! Was anscheinend als Blitzaktion geplant war, artet nun in einen brutalen Belagerungsfeldzug gegen die Städte aus. Angst herrscht in Europa! Zugleich wächst auch die Entschlossenheit, der Ukraine zu helfen und sich zu rüsten für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass Putin nicht nur die Ukraine ins Visier nehmen sollte. Diese Unterstützung umfasst Waffenlieferungen (im Falle der BRD ein beinahe einmaliger Schritt), Finanzmittel und humanitäre Hilfe. Das Entsetzen ist groß und überwiegend auch aufrichtig, auch wenn man nicht als Kriegspartei eintreten kann.


Die Solidaritätsbekundungen gehen soweit, dass bestimmte russische Künstler, die dem System Putin sehr nahestanden, aufgefordert werden, sich von diesem brutalen Überfall zu distanzieren. Andernfalls würde man bestehende Konzertverpflichtungen auflösen müssen. Namentlich wurden hier die Musiker Waleri Gergijew, u.a. Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, und Anna Netrebko genannt. Um gleich zum Punkt zu kommen: Ich halte diese Maßnahmen für gerechtfertigt. Es geht hier nicht um eine Diskriminierung russischer Künstler per se, wie es natürlich auch nicht um eine pauschale Verunglimpfung des russischen Volkes geht. Die russischen Künstler stehen hier im Mittelpunkt, weil manche von ihnen in der Vergangenheit die bereits erfolgten Verbrechen des Vladimir Putin begrüßt haben; so etwa Waleri Gergijew anlässlich der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Selbst wenn es bei dieser Maßnahme noch Interpretationsspielraum gegeben haben mag, ist ein solcher bei dem jüngst erfolgten, mit dreisten Lügen eingeleiteten, Überfall sicher nicht mehr gegeben. Und es ist schlichtweg undenkbar, dass Gergijew, der beredsam schweigt, das Orchester jener Stadt dirigiert, unter deren Partnerstädten sich ausgerechnet Kiew befindet! Das ist keine Frage von Cancel Culture, sondern schlichtweg eine Frage des Anstands! Im Falle von Gergijew bestand überhaupt keine andere Möglichkeit als die Trennung!


Die Frage würde sich übrigens genauso bei einem Dirigenten aus der BRD oder einem anderen x-beliebigen Land stellen, wenn er im Verdacht stünde völkerrechtswidrige Handlungen zu tolerieren oder sich mit den Verbrechern gemein zu machen. Im vorliegenden Fall stehen allerdings lediglich russische Künstler im Verdacht, mit Putins kriminellen Handlungen zu sympathisieren. Ein Hendrik Höfgen —der Mephisto in Klaus Manns gleichnamigen Roman — gelangt zu spät zur Einsicht, dass er sich mit den falschen Leuten eingelassen hat. Umsonst spricht er die berühmten letzten Worte im Film von István Szabó: „Was wollen die von mir? Ich bin doch nur ein Schauspieler.“


Eine andere Maßnahme betrifft die Aussortierung russischer Waren aus den Supermärkten. Auch diese halte ich für richtig. Sie ist genauso richtig wie der Ausschluss russischer Banken aus dem SWIFT-System und andere Maßnahmen, die darauf abzielen die wirtschaftliche Stärke Russlands zu untergraben. Noch einmal: Es geht nicht darum, das russische Volk zu ächten, sondern es zunächst einmal überhaupt auf die Verbrechen, die derzeit in der Ukraine begangen werden, aufmerksam zu machen! Denn die russischen Bürger leben in einem völlig gleichgeschalteten Land, in dem sie kaum Möglichkeiten haben, sich jenseits der staatlichen Propaganda über die Vorkommnisse in der Ukraine zu informieren. Erst heute berichtete meine russisch-stämmige Lehrerin über Telefonate mit einigen Bekannten in Russland. Diese lebten auch nach dem Angriff auf die Ukraine in völlig unveränderter Weise ihr Leben weiter! Die Sonne scheint und das Leben ist schön. Ukraine? Was soll da sein? Sie verfügten ausschließlich über die Informationen aus dem staatlich gelenkten russischen Fernsehen!


Veränderungen in Russland können nur aus Russland selbst hervorgehen! Auch wenn es für sie nicht leicht ist, aber die Russen müssen irgendwie dazu gebracht werden, sich mit den Verbrechen, die in ihrem Namen begangen werden, auseinanderzusetzen, und der beste Weg dazu ist, sie mit harten ökonomischen Konsequenzen zu konfrontieren. Dann werden sie vielleicht mutiger werden und beginnen, die staatliche Propaganda zu hinterfragen. Dafür muss jedes Mittel recht sein! Aus diesem Grunde darf es nun auch keine Tabus mehr geben, was den Import von Öl und Gas aus Russland anbelangt! Eine Verbannung von russischer Literatur oder Musik, wie sie hier und dort mittlerweile gefordert wird, ist natürlich unsinnig. Aber zumindest die Ergreifung aller geeigneten wirtschaftlichen Maßnahmen sind wir den Ukrainern schuldig!



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