When a man loves a woman – beyond the gender star
In diesem Artikel wende ich mich dem Thema der Anpassung der Sprache und der fortschreitenden Ausdifferenzierung unserer Gesellschaft zu. Vorausschicken — und zwar in durchaus selbstkritischer Weise — muss ich aber, dass auch ich einst zu den Zweiflern und Spöttern eines solchen Prozesses gehörte. Eine sehr kluge, immens gebildete Akademikerin öffnete mir einst bei einer Aufführung des Fliegenden Holländers die Augen und ließ mich meiner Selbstverblendung bewusst werden. In dieser Aufführung waren tatsächlich alle Seeleute durch Männer und im zweiten Akt alle Spinnerinnen (in der Inszenierung waren es natürlich keine Spinnerinnen, sondern – wenn ich mich recht erinnere- Arbeiterinnen in einer Fabrik für Ventilatoren) durch Frauen repräsentiert. Mir wurde eindringlich dargelegt, dass dies ja völlig unzeitgemäß sei und eine solche Darstellung die Geschlechterrollen in künstlicher Weise zementieren würde. Um sich dem Horizont der Menschheitserkenntnisse anzupassen, seien beide Chöre paritätisch mit Frauen und Männern zu besetzen! Diese Erkenntnis traf mich förmlich wie ein Keulenschlag, ja, es war geradezu ein Erweckungserlebnis, und ich begann selber intensiv über diese Fragen nachzudenken, insbesondere über die Konsequenzen für den Sprachgebrauch. Denn es dämmerte mir, dass es hier nicht um analytische Denkfähigkeit, historische Fakten, Absichten des Komponisten etc. ging, sondern um Wichtigeres: um ethische, moralische Werte, um den Willen Gutes zu bewirken, und um den Wunsch, diesen Willen unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen.
Mittlerweile – die Aufführung liegt schon einige Jahre zurück – ist unsere Gesellschaft sehr viel weiter vorangeschritten, und viele überfällige Veränderungen in unserer Sprache wurden bereits initiiert. So ist es etwa längst gängige Praxis, in den schriftlichen Verlautbarungen unserer künstlerischen Avantgarde den Genderstern zu verwenden. Die Programmhefte unserer Theater berichten von Künstler*Innen, Sänger*Innen usw., und nur völlig verblendete rechte Krämerseelen kommen noch mit ihren kleingeistigen Argumenten, dass das grammatikalische Genus nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun habe, und dass die Gleichsetzung auf einen bedauerlichen historischen Fehler zurückzuführen sei etc. etc. Auf solche Einwände kann hier nicht näher eingegangen werden, allerdings muss ich gestehen, dass ich mich für eine prinzipiell andere Handhabung des Gendersterns ausgesprochen hätte. Mir wäre es lieber, wenn wir von Künstlerinnen*ern, Sängerinnen*ern usw. sprechen würden, weil die integrative Botschaft dadurch noch viel intensiver vermittelt und ein noch höheres Maß an sprachlicher Eleganz erzielt würde.
Bei allen Erfolgen, die im Hinblick auf die Gendergerechtigkeit und die damit einhergehende elegante Stilistik erzielt worden sind, greifen diese Errungenschaften der Kulturschaffenden letztendlich nicht doch noch zu kurz? Wurde etwa in der Debatte über die Toiletten für das „dritte“ Geschlecht nicht ganz zurecht darauf hingewiesen, dass wir es in Wirklichkeit mit einem Kontinuum von Geschlechtern zu tun haben? Und dass demzufolge die Kategorien Mann und Frau nur willkürliche – man könnte auch sagen: abstrakte – diskrete Punkte (noch dazu besonders komplexe) auf dieser unendlichen Strecke von Geschlechterpunkten darstellen? Brauchen wir also nicht noch viel radikalere, gleichwohl einfachere sprachliche Ausdrucksformen? Dieser Gedanke beschäftigte mich eine Weile sehr intensiv und ich begann damit, Lösungen zu entwickeln, indem ich unnötig verzopfte, symbolüberlastete Texte in einfache und elegante umwandelte.
Dieser Gedankenprozess soll anhand eines besonders komplexen, in seiner Ursprungsform eigentlich gänzlich unverständlichen Textes illustriert werden, nämlich des bekannten Liedes When a man loves a woman von Percy Sledge. Es versteht sich wohl von selbst, dass lediglich die ersten beiden Zeilen näher betrachtet werden können, denn eine Transformation des gesamten Machwerks in eine verständliche und lesbare Form würde angesichts der Komplexität des Ursprungtextes den Rahmen dieser Abfassung natürlich bei weitem sprengen:
When a man loves a woman
Can't keep his mind on nothin' else
Zunächst einmal fällt die Asymmetrie der Konstruktion ins Auge. Was ist mit der Frau? Soll sie hier etwa rein passiv agieren? Dies ist in Zeiten des Genderbewusstseins natürlich gänzlich inakzeptabel. Somit ergibt sich der erste Eingriff zwangsläufig von selbst und bedarf keiner weiteren Erörterung (im Folgenden übersetzen wir gleich):
Wenn eine Person einer Genderklasse eine Person einer anderen Genderklasse liebt, dann kann sie an nichts anderes denken
Im Zuge der Herstellung der Symmetrie wurde nebenbei die völlig unsinnige doppelte Verneinung im englischen Originaltext beseitigt. Die so gewonnene Form stellt zweifelsfrei eine viel einfachere und logischere Form dar, vor allem, weil die abgenutzten historischen Begriffe Mann und Frau eliminiert worden sind. Allerdings sollte man hier noch nicht stehenbleiben, denn es wird nicht in Gänze klar, ob die Personen nicht auch aus der gleichen Genderklasse stammen können, auch wenn es logisch impliziert ist. Um Unklarheiten – und somit unnötige Verletzungen – zu vermeiden, sollte es also heißen:
Wenn eine Person einer Genderklasse eine Person einer anderen oder der gleichen Genderklasse liebt, dann kann sie an nichts anderes denken
Damit ist die transformierte Textform zwar schon sehr viel weniger ausgrenzend als die erste Form, allerdings bezieht sich die Aussage immer noch auf lediglich eine Person, die geliebt wird. Was ist also mit polyamoren Verhältnissen? Sollen diese hier etwa verunglimpft, gar in den Dreck gezogen werden? Es wäre wahrlich ein schöner Rückfall in die reaktionäre Welt alter weißer Männer, wenn man nicht auch in diesem Punkt den offensichtlichen Schritt machen würde, nämlich zu:
Wenn eine Person einer Genderklasse eine oder mehrere Personen aus anderen oder der gleichen Genderklasse liebt, dann kann sie an nichts anderes denken
An dieser Stelle ist es nun erforderlich, dass wir uns noch einem anderen zentralen Terminus zuwenden, nämlich dem der Liebe. Was soll dies bitteschön sein? Ist nicht auch dies ein längst überkommener Begriff aus einer abgelegten reaktionären Welt? Wurde er je sinnvoll definiert? Und wenn er sich definieren ließe, würden nicht wieder viele Menschen ausgegrenzt werden, die eine solche „Liebe“ – körperlich wie seelisch – eben nicht empfinden können, die aber trotzdem in einer irgendwie gearteten Beziehung zu anderen Menschen (oder Tieren!) stehen—oder vielleicht auch nicht stehen! Und sollten diese Formen menschlicher Beziehungen nicht auch gesellschaftlich als gleichberechtigt anerkannt werden? Wenn man auch dies bejaht – und wie sollte es denn nicht bejaht werden!? –, dann dürfen wir, so viel Klarheit auch bereits erzielt worden sein mag, bei dem Erreichten nicht stehen bleiben, dann kann es nur lauten:
Wenn eine Person einer Genderklasse zu einer oder mehreren Personen aus anderen oder der gleichen Genderklasse oder zu Tieren in irgendwie gearteten Beziehungen steht oder nicht steht, dann kann sie an nichts anderes denken
Der Hauptsatz „dann kann sie an nichts anderes denken“ Ist natürlich inhaltlich gänzlich unsinnig. Eine aufgeklärte Person wird auch in einer solchen Situation immer noch einen wachen Geist etwa für Fragen der sozialen und Gendergerechtigkeit, des Klimaschutzes oder der ökologischen Ernährung haben. Aber lassen wir dies hier einmal beiseite, wir wollen uns ja gewiss nicht dem Vorwurf aussetzen, die Debatte ideologisch zu überfrachten! Niemand hat ja die Absicht, in irgendeiner Weise poetische Freiheiten einzuschränken! Dass dies irgendwo geschehe, ist ja nichts anderes als ein ausgeleiertes Klischee. Freuen wir uns stattdessen an dem Erreichten: an der sprachlichen Symmetrie, an dem integrativen Charakter, aber vor allem: an der Klarheit, der Sanglichkeit und der erst in dieser Form freigelegten poetischen Ausdruckskraft