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Tod in Venedig

Über den Plätzen Venedigs liegt eine Stimmung der Tristesse. Wer dächte angesichts der Fernsehbilder mit dem leeren Markusplatz nicht auch an die Erzählung von Thomas Mann oder den gleichnamigen Film von Lucchino Visconti. Ein alternder Mann, Gustav von Aschenbach, der sein Leben lang auf Würde gehalten hat, wird darin beschrieben. Er verliebt sich in den Knaben Tadzio, der ihm als Idealbild menschlicher Schönheit erscheint. Von Aschenbach, völlig dem Rausch und der Begierde nach diesem Jungen verfallen, stirbt einen elendigen Tod in der von der Cholera (nicht Corona) heimgesuchten Stadt. Viel vom platonischen Phaidros-Dialog hat Mann in diese Erzählung gepackt, doch das soll nicht der Gegenstand dieser Notiz sein.


Anlass für diese Reflektion ist der Kommentar (FAZ Online, 11.3., https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kommentar-zur-afd-fehlender-anstand-16674573.html) des FAZ-Herausgebers Gerald Braunberger zu einer Äußerung von Jörg Meuthen von der AFD: „Jetzt kommt Merkels Wirtschaftskrise, und sie wird brutal.“ Braunberger vermerkt dazu: „Selbst in einer Stunde, in der die Menschen im übertragenen Sinne zusammenhalten,[…] , gefällt sich der Mann im Plappern von Ressentiments.[…] Wer ein solches Verhalten allen Ernstes als Ausdruck bürgerlich-liberaler Werte betrachtet, irrt orientierungslos im politischen Koordinatensystem umher, ohne es auch nur zu merken. Ein Konservativer oder ein Liberaler würde ein Verhalten, wie es Meuthen jetzt wieder an den Tag legt, sofort als das erkennen, was es ist: als Ausdruck des Fehlens von Anstand.“


Das sind extrem harte Vorwürfe, doch Braunberger führt nicht einmal aus, worin das Ressentiment bestehen, wodurch sich genau der fehlende Anstand bemerkbar machen soll. Zu vermuten ist jedoch, dass es das Attribut zum Satzsubjekt „Wirtschaftskrise“ ist, also „Merkels“, denn er wird wohl nicht bestreiten, dass aufgrund der Corona-Epidemie eine solche Krise droht, voraussichtlich sogar in einem Ausmaß, wie Meuthen sie andeutet.

Die AFD (übrigens auch große Teile der FDP und des konservativen Flügels der CDU) hat immer darauf hingewiesen, dass der Flickenteppich der sogenannten Euro-Rettung mit allen seinen Rettungsschirmen nicht zu einer dauerhaften Stabilisierung der Eurozone führen wird. Die damals maßgeblichen Politiker müssen sich dieses Risikos bewusst gewesen sein. Und welcher Politiker stünde mehr für dieses Risikospiel als Frau Merkel, die Meisterin der Formelkompromisse? Dies war immer die Position der AFD, ja, es war geradezu das Gründungsmotiv für diese Partei, und vor diesem Hintergrund kann Meuthens Äußerung nicht überraschen. Hinzu kommt, dass das Thema Wirtschaftspolitik in der Regierungszeit Merkels zunehmend eine nachrangige Rolle gespielt hat. Fokussiert wurde auf immer neue Formen der sozialen Umverteilung, dabei wurden aber die Infrastruktur, die Förderung innovativer Technologien, die Unterstützung von kleineren und mittleren Unternehmen sträflich vernachlässigt. Es steht zu befürchten, dass sich dies nun rächen wird. Insofern ist auch Braunbergers These, dass Deutschland sich „heute gottlob in einer vergleichsweise komfortablen ökonomischen Situation“ befände, fragwürdig. Die nächsten Monate werden Aufschluss geben, und vielleicht kommt mit dieser Corona-Krise als Auslöser nun die Stunde der Wahrheit, in der die Karten in mancherlei Hinsicht aufgedeckt werden. Dann wird es eben auch Merkels Wirtschaftskrise sein! Respice finem!


Oder empfindet es Braunberger gar als anstößig, überhaupt wirtschaftliche Aspekte in „einer (solchen) Stunde“ zu thematisieren? Besteht etwa darin seine Vorstellung von konservativ/liberal? Der Leser erfährt es nicht, denn der Autor befindet es nicht einmal für nötig dem Leser mitzuteilen, was er als konservativ oder liberal empfände, weder im Allgemeinen noch in dem von ihm erörterten Fall. Leser, die sich als Konservative und Liberale erachten, werden wohl schmunzeln, wenn sie diese Zeilen lesen. Allerdings haben sich viele von ihnen schon längst von der FAZ abgewandt. Es darf übrigens bezweifelt werden, dass die Aussagen Meuthens etwa im Wirtschaftsrat der CDU auf allzu heftigen Protest stoßen würden.


Konservativ ist diese Zeitung schon lange nicht mehr, wenn man etwa unter konservativ versteht, sich unsinnigen Zeitgeisterscheinungen entschieden entgegenzustellen, und sie sollte sich nicht anmaßen, Meinungen zu disqualifizieren, indem sie sie mit Attributen versieht, die in diesem Zusammenhang eigentlich gar keine Rolle spielen. Das Herausgebergremium scheint ja daran zu arbeiten das Blatt in eine Art Zeitgeist-Plattform zu verwandeln. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist der Hinweis in Braunbergers Artikel auf die “häufig formulierte Kritik gegenüber der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung“. Ja, die war zu lesen, genauso gut aber wie davon abweichende Meinungen, denn dieser Zeitung ist insgesamt die Richtschnur abhandengekommen, die sich zumindest in den Leitartikeln manifestieren sollte. Es ist von allem ein bisschen, ein Kessel Buntes. Gerne zieht man sich in der Kommentierung darauf zurück, „anti-AFD“ zu sein wie in diesem Fall, das geht immer, um „klare Kante“ zu zeigen, ohne die Geschäftsführer und die verbliebene Restleserschaft zu verärgern oder die Aussicht auf Journalistenpreise zu schmälern.


In anderen wichtigen Fragen bleibt sie oftmals gerne im Unbestimmten. Was soll man etwa dazu sagen, wenn selbst ein so wichtiges Thema wie die Verteidigung der Pressefreiheit im Zusammenhang mit der Petition für ein Quasi-Publikationsverbot der Woody-Allen-Biografie einer externen Schriftstellerin (Eva Menasse) überlassen wird? Selber zu schreiben war den Herausgebern dann wohl doch zu heikel, da man sich wohl ungerne so offen gegen (linke) Zeitströmungen (die sogenannte „Zivilgesellschaft“) positionieren wollte. Und hier geht es immerhin um die Basis der Journalistik und die Grundwerte dieses Landes! Konservative und Liberale (wie immer man die Begriffe nun auch fassen möchte) würden gewiss erwarten, dass die Redaktion hier kompromisslos Stellung bezieht!


Und so ist diese kurze Notiz zum Beitrag von Herrn Braunberger nicht als Rechtfertigung einer radikalen Partei zu sehen, gegen die man in der Tat vieles einwenden kann, sondern primär als Kommentar zur Lage einer einst bedeutenden Zeitung. Auch ein Herr Meuthen verdient ein Maß an Fairness. Gewiss kann und sollte man ihn kritisieren, aber die Form der Kritik muss begründet werden und angemessen sein. Gerade im Hinblick auf die bereits schwer in Mitleidenschaft gezogene Diskussionskultur in diesem Lande wäre es wichtig, an diesem journalistischen Grundsatz festzuhalten. In dem Beitrag von Herrn Braunberger kann davon leider nicht die Rede sein.


Man wird wohl bei der FAZ noch eine Weile so weitermachen können auf Basis der an den jeweiligen gesellschaftlichen Strömungen orientierten Beliebigkeit mit kleinen Widerhaken hier und dort, um sich den Status des (wohlgemerkt: linksgefärbten) Querdenkertums zu bewahren. Aber im Wettkampf mit den konservativen und der Fülle an linksgerichteten Publikationen wird man langfristig wohl nicht bestehen können. Zu befürchten ist allerdings –wie übrigens auch bei der SPD—, dass man an dem eingeschlagenen Kurs bedingungslos festhalten wird. Wie im Rausch und in der grenzenlosen Begierde nach Akzeptanz im links-grünen Spektrum wird man sich wohl im „politischen Koordinatensystem“ verirren. Fast wie im Tod in Venedig...

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