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Die Tödin und der Junge…

Immer mehr Institute führen bei sich den Genderstern ein. Damit schließen sie sich einer antiaufklärerischen Bewegung an, die immer unheimlichere Ausmaße annimmt. Und dies unter dem Deckmantel sogenannter Gendergerechtigkeit. Wer sich dem widersetzt, riskiert diffamiert und benachteiligt zu werden. Die Einführung dieser Praxis an mir nahestehenden Institutionen hat mich bewogen, diesen Brief zu schreiben. Er ist abstrakt an einen beliebigen Schuldirektor adressiert, wendet sich aber genauso gut an Verantwortliche in Vereinen, Universitäten, Firmen, Theaterbühnen…


Sehr geehrter Herr …,

mit Bedauern stelle ich fest, dass auch Ihre Institution und Sie persönlich seit geraumer Zeit auf den Gender-Sprachzug aufgesprungen sind. So sprechen Sie und, wie es scheint, die Mitglieder ihres Kollegiums in den Mitteilungen neuerdings durchweg von „Schüler*innen“. Damit schließen Sie sich und Ihre Institution einer Bewegung an, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Bevölkerung dieses Landes (wie Sie merken, schrecke ich von dem Begriff „die Deutschen“ zurück, um Sie nicht von vornherein unnötig zu provozieren, obwohl es ja wohl ausschließlich um die deutsche Sprache geht) sprachlich und ideologisch umzuerziehen. Gewiss, es besteht überhaupt kein Grund zur Annahme, dass Sie diesen Schritt nicht in den besten Absichten vollzogen hätten, nur frage ich mich, ob Sie sich wirklich über die Implikationen dieser Handlung und ihre Konsequenzen im Klaren sind. Keine Angst, ich werde Sie jetzt nicht über den Unterschied zwischen dem grammatikalischen Genus und dem biologischen Geschlecht belehren. Das haben vielleicht auch schon die für Sprachen zuständigen Kollegen getan. Aber ich frage mich, wie Sie ihren Schülern die Sinnhaftigkeit des „Genderns“ plausibel machen wollen, wenn Sie gleichzeitig im Latein-, Deutsch oder Französisch-Unterricht doch die Relevanz des biologischen Geschlechts für das grammatikalische Genus bestreiten müssen! Ich fürchte, an dieser Stelle werden Sie wohl kaum überzeugend argumentieren können. Sind aber die daraus resultierenden logischen Ungereimtheiten vertretbar mit dem Anspruch, den Sie als Erzieher erheben müssen?


Ferner frage ich mich, ob Sie sich der logischen Konsequenzen, die die Verwischung dieses fundamentalen Unterschieds mit sich bringt, im Klaren sind. Werden Sie den Genderstern auch weitergehend einsetzen, wie es ja eigentlich stringent wäre? Werden Sie etwa in Theaterstücken, in denen der Tod auftritt, von der Tödin sprechen? Streichen Sie demnächst den Begriff „brüderlich“ in literarischen Schultexten und ersetzen ihn durch „couragiert“ oder „barmherzig“? Beethovens 9. Symphonie müsste dann bei Ihnen demnächst auch anders vorgetragen werden, denn im Schlusssatz kommt ziemlich oft der Begriff „Brüder“ vor… Bitte unterstellen Sie mir nicht, dass ich die Thematik ins Lächerliche ziehen will, indem ich besonders skurrile Beispiele heranziehe. OK, vielleicht ein wenig, aber seien Sie versichert: An unseren Universitäten ist man mit den Planungen schon sehr viel weiter! So hat etwa die Arbeitsgruppe für ʺFeministisch Sprachhandelnʺ (sie nennt sich wohl wirklich so!) der Berliner Humboldt-Universität unlängst eine Reihe von sehr viel radikaleren Vorschlägen unterbreitet: Ein „Drucker“ soll zukünftig ein „Drucka“ sein, ein „Computer“ ein „Computa“, aus „human“ soll „hum@n“ werden… Irgendwann fing es wohl einmal damit an, dass man von „Studierenden“ sprach anstatt von Studenten, was übrigens inhaltlich zumeist falsch ist. Ein Studierender, der gerade nicht studiert, ist nämlich gar kein Studierender. Konsultieren Sie einen Deutschlehrer (oder eine Deutschlehrerin) zur Rolle des Partizip Präsens! Wo also werden Sie die Grenze ziehen? Wo werden Sie sie noch ziehen können?


Dann wäre da übrigens noch die Sache mit den Fremdsprachen. Da bestünde dann auch ein erheblicher Handlungsbedarf, wenn Sie es wirklich ernst meinen sollten. Denn hätte die sogenannte „Gendergerechtigkeit“ nicht auch in den Fremdsprachen zu gelten? Im Französischen müsste dann etwa der Satz „Die Schauspieler bereiteten sich auf die Vorführung vor.“ demnächst mit „Les acteur*rice*s se sont préparé*e*s pour la représentation théâtrale.“ übersetzt werden. Klingt sehr vornehm, nicht wahr!?


„Halt, halt!“, werden Sie jetzt vielleicht ausrufen, „das habe ich ja alles nicht so gemeint. Das war doch nur als Geste für die Mädchen bestimmt, damit sie sich gleichwertig gegenüber den Jungen fühlen.“ Und genau an dieser Stelle muss ich Ihnen einen logischen Fehler vorhalten. Denn die Mädchen sind gleichwertig (mindestens(!), füge ich als stolzer Vater einer Tochter hinzu), und sie sind es unabhängig von der Frage, ob wir die grammatikalischen Regeln unserer Sprache verbiegen oder gar pervertieren! Tatsächlich erreicht man mit diesen Eingriffen in die Sprache lediglich eine gönnerhafte Geste der Anbiederung, die die intelligenten Schülerinnen übrigens genau als solche empfinden, und damit genau das Gegenteil dessen, was man eigentlich erzielen wollte!


Übrigens müssten Sie ihre Sprachpraxis wohl noch weiter verfeinern, wenn sie denn wirklich niemanden —ich vermute, dass dies Ihre Absicht ist— zurücksetzen wollen. Denn da wäre ja noch das „dritte Geschlecht“, wobei dieser Terminus eine starke Simplifizierung beinhaltet; mittlerweile geht es ja wohl eher um viele Dutzende Geschlechteridentitäten: Bigender, queer, intersexuell, transgender usw. Werden wir entsprechend der antiaufklärerischen Doktrin der Gleichsetzung von Gender und Genus diese Vielfalt demnächst auch sprachlich reflektiert sehen?! Ich bin sehr gespannt!


An dieser Stelle möchte ich meine Ausführungen beenden, obwohl ich noch gar nicht über die Begriffe der Schönheit oder Stilistik gesprochen habe. Erlauben Sie mir nur die Anmerkung, dass es mir allerdings gänzlich schleierhaft ist, wie man als Lehrer Schüler dazu bringen kann, Texte von Ovid oder Vergil auf Ihre rhetorischen Stilmittel hin zu untersuchen, wenn man gleichzeitig billigend in Kauf nimmt, dass die eigene Sprache zur Karikatur verkommt. Aber vielleicht renne ich bei Ihnen ja mit diesen Zeilen ohnehin offene Türen ein, da sie diese Sprachpraxis vielleicht nur übernommen haben, weil Sie sich die Mühe ersparen wollten, gegen den Strom der political correctness zu schwimmen. Glauben Sie mir: Sie wären nicht alleine. Wie oft bekomme ich den Klageruf zu hören: „Jetzt führen die in unserem Institut/in unserer Firma/an unserem Theater auch diesen Gender-Unfug ein!“ — und das keineswegs nur von Männern! Aber kaum jemand wagt gegen diesen Unfug Protest einzulegen, aus Angst vor Repressalien in den jeweiligen Institutionen, was übrigens eine ganze Menge über die politischen Zustände aussagt, die mittlerweile in unserem Lande herrschen. Aber dies wäre ein anderes Thema.


Ich hoffe, dass Sie mir meine offenen Worte und meine vielleicht etwas zu weitläufig geratenen Ausführungen nicht übelnehmen. Es würde mich freuen, wenn dieser Brief als Ermunterung verstanden würde, die Prämissen einer fehlgesteuerten Bewegung, die von abgehobenen Akademikern in ihren Elfenbeintürmen und orientierungslosen Politikern befeuert wird, kritisch zu hinterfragen—vielleicht auch dann, wenn man sich persönlichen Angriffen ausgesetzt sähe. Ein solcher Geist und eine solche Haltung wären nicht das schlechteste Beispiel, das man seinen Schülern geben könnte.


Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Dr. Bernd Fischer

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